Den Deutschen ihr U-Boot

U-Boote haben bis heute eine beinahe mythische Bedeutung in Deutschland. Diese Tatsache stellt die Grundierung dar, auf der „Der Schwarze Wal“ entstand. Mein Buch verhandelt das Thema eher am Rande, doch ohne diesen Hintergrund wäre es nicht denkbar. Deshalb dieses kleine Essay.

©Constantin Film

Ein Freund fragte einmal aus einer Laune heraus: „Aus welchem Film stammt das Zitat: Gute Leute muss man haben, gute Leute?“. Wie aus der Pistole geschossen antwortete ein Musiker neben uns, ein Künstler-Typ mit markantem Schal: „Das Boot!
Ich war perplex. Der weiß das?

 

Dabei kenne ich viele Das Boot–Experten: Ein anderer Freund schaut die längere TV-Fassung einmal im Jahr. Ein weiterer hat ganze Regalmeter zu U-Booten im Zweiten Weltkrieg gesammelt, eine Barbekanntschaft erzählte mir, dass er Das Boot schon öfter mit seinen Kumpels geguckt habe, inklusive eines in Öl getränkten Lappens, damit auch der Gestank stimmt – Kino 2,5D sozusagen.
Deutsche Männer sind fasziniert von U-Booten, mindestens seit Lothar-Günther Buchheims Tatsachen-Roman, und der Verfilmung von 1980, aber auch schon davor. Eine aufwändige Fortsetzung des Stoffs als Serie soll Ende des Jahres auf Sky erscheinen.

Warum eigentlich? Warum fahren so viele auf U-Boote ab? Falls jemand glaubt, das hätte mit Nazi-Propaganda zu tun oder blinder Kriegsverherrlichung: Grundsätzlich ist das falsch.

Das Boot ist natürlich ein Schlüsselereignis gewesen. Der Film wirkt wie eine faszinierende, düstere Spätform des Steampunk, als sei Jules Vernes menschenhassender, aber romantischer Captain Nemo hart auf den Boden der Realität aufgeschlagen: Wir sehen Dreck, Schmutz, grobe Technik, Bärte, hören wilde Befehle („Alle Mann vorrraaaus!“); der Film ist ein Technik-Abenteuer, ein faszinierender Kampf einer Schicksalsgemeinschaft unter Wasser um Leben und Tod.

Der U-Boot-Krieg repräsentiert dabei etwas Archaisches.

Die Boote hießen auch „Graue Wölfe“, weil sie sich im Rudel an Geleitzüge anschlichen, um Schiffe zu versenken, so, wie Wölfe Wild im Wald jagen. Aus demselben Grund also, warum man Tierfilme schaut, sind auch U-Boote faszinierend: Verstecken, horchen, lauern, jagen, gejagt werden – nur mit Menschen. Es gruselt und kitzelt zugleich. Diese Atmosphäre erschafft Das Boot wie kaum ein anderer Film.

Die Geschichte der U-Boote spielt auf der Suche nach den Gründen der Faszination ebenso eine Rolle. In zwei Weltkriegen drehten Unterseeboote am großen Rad: In den Atlantik-Schlachten 1917/18 und 1942/1943, fehlte nicht viel, und die Deutschen hätten dank ihrer U-Boot-Flotte den Erzfeind Großbritannien besiegt und vielleicht sogar beide Kriege gewonnen. U-Boote symbolisierten Macht: Sie stellten das Neueste an Waffentechnik dar, waren eine riesige Herausforderung für den Gegner und erst spät, am Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie endgültig besiegt und veraltet.

In den U-Booten spiegelt sich auch die tiefe Zerrissenheit Deutschlands, insbesondere die des deutschen Kaiserreichs wider: Die damalige Führung hatte sich in ein Flottenwettrüsten mit Panzerkreuzern und Schlachtschiffen gestürzt, um Großbritannien auf klassischem Wege herauszufordern, ein Unternehmen, das Deutschland beinahe in den Bankrott trieb. Die Innovation der U-Boote war es aber, also moderne deutsche Ingenieurskunst, die das britische Empire in Bedrängnis brachte. Hier, wie so oft in der jüngeren deutschen Geschichte, prallten Moderne und Rückwärtsgewandheit aufeinander.

Waren U-Boote eine hinterhältige Waffe? Eine miese Strategie des eigentlich Unterlegenen, der, wenn er schon nicht über Wasser gewann, den Gegner aus dem Hinterhalt attackierte und viele tausend Menschen in den eiskalten Tod schickte? Ja, so war es. Aber erstens setzten auch die Gegner U-Boote ein. Und zweitens, was ist im Krieg schon moralisch? Erst mit der Atombombe wurden bestimmte Waffen flächendeckend eingehegt, im Krieg war bis dahin alles erlaubt. Die „Existenz-Berechtigung“ der U-Boote erkennen auch die ehemaligen Gegner an, jedenfalls heute: Wer im Internet zu U-Booten recherchiert, hat den Eindruck, Amerikaner und Briten interessieren sich mehr für die einstige deutsche Vorzeige-Waffengattung, als die Deutschen selbst. Der Grund liegt schlicht darin, dass die U-Boote den Alliierten einen großen Kampf lieferten.

Angesichts der moralischen und menschlichen Verbrechen des Nazi-Regimes kommt man allerdings mit rein militärischer Argumentation schwerlich davon. Deutsche U-Boote waren Teil der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie. Von Widerstand in der U-Boot-Waffe habe ich noch nie etwas gehört. Aber, auch hier zeigt Das Boot: Es waren eben auch Menschen, die auf den U-Booten fuhren, und die an ihre Sache glaubten, wenn auch an die falsche.
An diesem Widerspruch knabbern heute noch viele. Es ist der nur schwer auflösbare Gegensatz der jüngeren deutschen Geschichte. Auch das zeigt der heilige Gral der U-Boot-Enthusiasten, deswegen geht Das Boot auch nicht gut aus (und auch, weil das Sterben auf U-Booten Standard war: nur ein Viertel der U-Bootfahrer überlebte den Krieg).

Die Verfilmung gelang übrigens in einer Zeit, als solche aufwändigen Streifen der Bundesrepublik kaum zugetraut wurden, ein Sinnbild dafür, wie mächtig der Topos war, den Autor Buchheim und Regisseur Wolfgang Petersen geschaffen hatten. Der Streit, wie realistisch die Darstellung ist, währt bis heute. Warum? Weil es Deutsche gewesen waren, die auf Feindfahrt waren und Deutsche, die kennt man hierzulande nunmal ziemlich gut. Wie taten die U-Bootfahrer das, was sie taten, warum, was sollte das überhaupt? Waren sie Nazis, brave Seesoldaten oder blinde Mitläufer? Das lässt viele nicht in Ruhe.

Es ist bekannt, dass Kriegsgräuel noch in der dritten Generation nachhallen, relativ unabhängig davon, ob die Ahnen Täter oder Opfer gewesen waren. Man wälzt sein Thema jedesmal neu: Hätte, wäre, wenn? Dieses Nichtloslassen sind Spätfolgen des großen, mörderischen Krieges. Niemand, den ich kenne, und der Unterseeboote mag, befürwortet Kriege, ganz im Gegenteil. Aber viele können es nicht lassen: Die Vergangenheit der deutschen U-Boote treibt sie um.